Lockdown - Bild von Sayyid 96 auf Pixabay - gemeinfrei

Wir müssen reden – über Respekt, über Abwertung, über Hoffnungslosigkeit, über Fairness

Kommentar von Walther

Walther zensiert (c) Benedikt Schäpler
Walther zensiert (c) Benedikt Schäpler

Der zweite Lockdown war zu erwarten. Die Unvernunft wächst mit jedem Bier und jedem Cocktail. Der Sommer und die niedrigen Infektionszahlen in den Berichten, die unglückliche Debatte über das Recht auf private Feiern, das Gezerfe über unterschiedlichen Maßnahmen in unterschiedlichem Infektionsgeschehen, eine Urlaubssaison, die besser keine gewesen wäre. Man konnte es wissen, wenn man denn gewollt hätte. Es dürfen Wetten angenommen werden, ob das der letzte teilweise Lockdown war. Die Wahrscheinlichkeit, dass noch eine ganze Reihe folgen werden, ist verdammt hoch, weil die Dummheit grenzenlos und der Vermehrungsdrang vor allem Jüngerer zu groß sind, als dass man sie kanalisieren könnte.

Da wäre, zu allem Übel, noch unsere Müdigkeit und die Gewöhnung an die Angst und an die Risiken. Unsere Seele braucht es als innere Hygiene, und der atavistische Teil unseres Selbst, der die permanente Habachtstellung des Adrenalinhaushalts nicht auf Dauer aushalten kann, fährt die Visiere herunter: Wir werden nachlässiger, unkonzentrierter, arschiger. Wir Menschen sind nicht als Einsame Wölfe geboren – wenigstens die allermeisten. Wir sehnen uns nach Zusammensein und Nähe. Und genau das sollen wir auf Dauer einschränken. Bis der Impfstoff endlich da ist. Bis die Medikamente getestet und für die schweren Verläufe verfügbar sind.

Wer bezahlt die Zeche, damit wir leben dürfen?

Je länger diese Pandemie andauert, desto teurer wird sie. Wir wissen heute, dass sie mindestens bis in den Herbst 2021 grassieren wird. Der Virus wird uns für immer erhalten bleiben. Auch das wissen wir. Das aber heißt, dass wir noch nicht die ganzen Kosten auf dem Tisch haben, und diese sind durchaus nicht nur monetärer Natur. Nein, sie gehen auch die Seele an. Sie verletzten Stolz und schaffen Zweifel. Sie zerstören Lebensentwürfe und bisherige Lebenserfolge. Sie vernichten Existenzen. Schlimmer: Sie pflügen Menschen unter. Weil andere Menschen und deren Gesundheit, Wohlbefinden und Leben gerettet werden können, und zwar nur, indem verhindert wird, dass sie sich anstecken.

Dazu dienen alle Maßnahmen: AHA, Maske, Social Distancing, Hygienekonzepte, Lockdown. Fein. Damit sind wir alle erst einmal einverstanden. Was aber ist, wenn genau diese Maßnahmen unsere Existenz – sozial, finanziell, beruflich – bedrohen? Was aber, wenn begonnen wird, zu selektieren, Gleiches ungleich zu behandeln? Genau das geschieht gerade. Wir wissen, dass die meisten Menschen erst zuhören, wenn der Knüppel, der in die Hand geklatscht wird, ein großer ist. Wir sind uns klar darüber, dass politisches Handeln auch deklaratorischen Charakter hat – zumal, wenn wir verlangen, private Feiern zu unterlassen und das eigentlich nur mit Hilfe der Denunziation, also des guten alten Blockwarts, kontrollieren können. Dann verbieten wir gleich mal die Gastromie mit, die Kulturveranstaltungen und den Sport. Alles gut so weit.

Was aber, wenn die Kirchen offenbleiben dürfen, jedoch die Fußballbundesliga spielt? Was aber, wenn der Friseur weiterhin schneiden darf, jedoch die Kosmetikerin und die Fußpfegerin sowie das Nagelstudio schließen müssen? Was, wenn das Fitnessstudio zumacht, jedoch der Personal Coach und der Krankengymnast weiterhin tätig sein dürfen? Fragen über Fragen. Eines ist dabei immer unwidersprochen: Die Zechen zahlen müssen viele, aber durchaus nicht alle, sondern eher wenige. Die Eventbranche. Die Messebauer. Die Kulturschaffenden. Die Wirte. Die Reisebranche. Es gibt also eine neue Klassengesellschaft mit mindestens drei Schichten:

    1. Die Systemrelevanten, zu denen auch die Bundesligamillionäre gehören
    2. Die Normalos, die dafür sorgen, dass die Wirtschaft läuft und die Kinder ausgebildet und betreut werden
    3. Die Systemirrelevanten, die nicht mehr arbeiten dürfen

Schöne neue Welt, möchte man ausrufen.

Rückkehr ins Mittelalter?

Früher hat man die, die für die Belustigung des gemeinen Volks zuständig waren, gerne dem Fahrenden Volk zugerechnet. Sie waren zur Bespaßung gern gesehen, aber danach war man sich einig, sie außerhalb der Stadttore nächtigen zu lassen. Damit nichts wegkommt und damit sie keine Kinder stehlen. Wenn wir einmal ernsthaft betrachten, wie wir mit manchen unserer Mitmenschen als Mehrheitsgesellschaft umgehen, ist das genau diese abfällige Behandlung der Kunst- und Kulturschaffenden, die gerade fröhliche Urständ feiert.

Die sind nicht wichtig, sagt und denkt man. Laut sagt man’s nicht, aber man handelt danach. Denn wenn ich einen Kirchgang zulasse, dann kann ich auch einen Gang ins Theater und ins Kino erlauben. Mit einem ordentlichen Hygienekonzept ist das eine so risikobehaftet wie das andere. Es ist ja nett, dass nun endlich eine Art Unternehmerlohn für die Betroffenen ausgelobt wird, den sie vielleicht noch vor Weihnachten beantragt und hoffentlich erhalten haben. Was zurückbleibt, ist die mangelnde Wertschätzung, die geradezu würdelose und ehrabschneidende Geringschätzigkeit der Tätigkeit, dem Sein, dieser Menschen gegenüber.

Wir sollten uns vielmehr bemühen, uns der Möglichkeit des Freudestiftens zu befleißigen, das Kultur und Gastlichkeit, Sport und Kino gerade in der kommenden dunklen Zeit spenden könnten. Stattdessen sperren wir unsere Häuser und Herzen zu und lassen diese Menschen draußen seelisch verhungern. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, steht in einem der größten Bücher der Menschheit. In der Tat. Er lebt auch und gerade von Beifall, den man etwas liebevoller Wertschätzung nennt. Wer nicht wert schätzt, schätzt gering. Und wer gering geschätzt wird, hat keinen Wert.

Ganz ehrlich: Wer, bitte, kann damit auf Dauer leben?

 

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