Deniz Yücel oder: Warum es überfällig ist, den Mund aufzumachen

Kommentar von Walther

Unser Blog ist kein „politischer“. Aber wenn es an den Kern der Grundfreiheiten geht, zu denen die Pressefreiheit gehört, darf niemand mehr schweigen, der sich in der Presse engagiert. Auch wenn das nicht allen sofort klar ist: Ein Feuilleton-Blog und ein Literatur-Magazin ist Teil der Presselandschaft im seinem Kultur- und Rezeptionsraum. Unserer mag klein sein und unbedeutend. Aber ist das bei Grundsatzfragen wirklich wichtig?

Der Fall Deniz Yücel hat mehrere Dimensionen. Wir wollen uns die Mühe machen, einige davon nachstehend zu beleuchten.

Erstens:

Die Pressefreiheit ist eine der Grundfreiheiten der Demokratie. Die Presse ist die sog. Vierte Gewalt im Kanon der Gewaltenteilung, die als „Publikative“ zum Kreis von Legislative, Exekutive und Judikative hinzutritt. Sie ist Ausdruck des unveräußerlichen Rechts auf freie Meinungsäußerung, dem sich das Recht auf freie Berichterstattung geradezu zwingend hinzugesellt. Niemand kann sich eine freie Meinung bilden, wenn die Berichterstattung unfrei ist. Die klare Diagnose lautet: Die Türkei ist kein Rechtsstaat mehr. Sie verstößt zusätzlich in eklatanter Weise gegen fundamentale Menschenrechte. Die Verhaftungswelle in Verwaltung, Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten und dem Parlament hat die Gewaltenteilung in der Türkei beendet. Es herrscht die blanke Willkür.

Zweitens:

Es ist absolut nicht hinnehmbar, wie mit Deniz Yücel umgegangen wird. Er ist deutscher Staatsbürger und hat Anspruch auf den Schutz seines Heimatlandes. Es gibt einen Punkt, an dem man entscheiden muss, ob es auf den Menschen und seine Rechte am Ende ankommt oder auf die sog. Staatsräson, wobei diese als Abwesenheit weiterer Flüchtlinge aus Syrien definiert ist. Wenn das der Inhalt der Staatsräson unseres Landes ist, erscheint das sehr kurzgegriffen. Den Beteiligten sei anempfohlen, sich einmal mit unserer deutschen Verfassung zu beschäftigen, deren wichtigster Artikel lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das wirft folgende Frage auf: Ist Deniz Yücel etwa kein Mensch?

Drittens:

Wenn wir das Umfeld betrachten, fällt uns gleich Russland, Polen, Ungarn und, seit der Wahl Trumps, auch die USA ein. Das ist ebenfalls zu kurz gegriffen. Wer „Lügenpresse“ brüllt, will keine freie unabhängige Berichterstattung mehr. Er will seine Berichterstattung. Er will genau die Wahrheit hören, die ihm in den Kram passt, und sonst keine. Damit ist nicht gesagt, dass man die Presse nicht kritisieren dürfe. Das darf man, und das muss man auch. Darum geht es ja gerade: um die Freiheit, das sagen und schreiben zu dürfen, was man für richtig erkannt hat. Allerdings müssen wir wissen, und das ist die Richtschnur der freien Presse, Meinung kann nur gebildet werden, wenn sie auf unvoreingenommen berichteten Fakten beruht. Da hat die Presse nachzuarbeiten. Da ist – immer und zu jeder Zeit – Kritik wie Selbstkritik angebracht. Wer Informationen weglässt, aus welchem guten ehrenhaften Grund auch immer, verfälscht die Wirklichkeit.

Viertens:

Für Verhaftung und Untersuchungshaft von Deniz Yücel gibt es keinen sachlichen Grund. Sein Beispiel soll Furcht und Schrecken verbreiten, in der Türkei und bei allen Menschen weltweit, die einen türkischen Pass besitzen. Sie sollen wissen, dass der lange Arm des türkischen Präsidenten spätestens dann erreicht, wenn sie in die Türkei einreisen sollten. Bekanntlich sind durch neuere Gesetze und staatliches Handeln, zu dem auch die Gesinnungsschnüffelei in Deutschland gehört, auch Familienangehörige in Gefahr, für Worte und Taten ihre Verwandten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Eigentlich sollte klar sein, dass man Mitgliedern einer solchen Regierung und einer solchen Partei nicht einmal mehr die Hand reicht.

Fünftens:

Wir fordern, dass Deniz Yücel sofort freikommt. Nicht mehr und nicht weniger, ohne  jede Einschränkung, ohne jedes Vertun. Und wir fordern die Bundesregierung auf, endlich mehr als Worte des Bedauerns zu äußern. Das, was mit Deniz Yücel geschieht, bedarf der Tat, auch wenn sie wehtut. Das fordert unsere Staatsräson, die auf folgendem Satz fußt:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Die Würde von Deniz Yücel, einem deutschen Staatsbürger, wird seit Wochen mit Füßen getreten. Das muss ein Ende haben. Und zwar jetzt, in diesem Moment.

Netfinder: NYT: The truth is hard

One thought on “Deniz Yücel oder: Warum es überfällig ist, den Mund aufzumachen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert