In Zeiten von Ausgangsbeschränkungen, Isolation und Social Distancing bricht heimlich ein wunderschöner Frühling an

Von Jan-Marco Jahnke

Mit Tagebucheinträgen, Gedankenfetzen und Gedichten zeigt Marie-Sophie Michel in dieser kleinen Broschüre, dass Angesichts einer großen Bedrohung auch in Worten, von denen wir es früher nie geglaubt hätten, eine poetische Schönheit liegen kann. Systemrelevanz, Quarantäne und Covid entfalten eine ganz eigene, bisweilen schaurige Wirkung, wenn man währenddessen gar nicht weiß, was man in der Isolation anderes tun soll, als den Kirschblüten beim Blühen zuzusehen.
Der beatmete Mai beschreibt einen einzigartigen Frühling, dessen routinierte, immer wiederkehrende Schönheit die Autorin mit selbstgewählten Bildern illustriert. „Heute müssen Amsel und ich uns einigen – Sicherheitsabstand.“, schreibt sie über einer Fotografie des Amselnests und man fragt sich fast, ob in dieser wunderschönen Welt vielleicht nur der Mensch die Fähigkeit hat, sich zu sorgen. Und doch merken wir an anderer Stelle, dass uns manche Dinge nahezu egal geworden sind, wenn der Abend in Jogginghose durch die Straße marschiert.
Es ist eine kleine Sammlung von alltäglichen Spannungen, die wir zwischen Informationsflut und einsamer Stille durchleben, der Versuch, irgendwie Ordnung in die großen Ängste und kleinen Wunder zu bringen, mit denen wir nun tagtäglich konfrontiert sind. Wie kann all das gleichzeitig passieren? In solch einem Frühling, scheint der Himmel blau, als ob er eine Ausnahmegenehmigung hätte. Und ein wenig hilft dieses Heftchen dabei, ihn zu verstehen.

Marie-Sophie Michel, Der beatmete Mai, Geest-Verlag, 2020, ISBN: 978-3-86685-772-8, 60 Seiten, 5,00€.

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