A place not to be

von Judith Kerstgens

Es ist ein stinknormaler Sonntag in Hamburg:  regnerisch, kalt, ungemütlich. Aber das ist nicht der Grund für meine schlechte Laune, als ich die Augen aufschlage und seufze. Ich greife zum Handy und öffne Facebook – nichts. Schnell swipe ich zur nächsten Seite und klicke auf die kleine bunte Kamera, aber auch Instagram enttäuscht mich: „Feed konnte nicht neu geladen werden“.
HOW DARE YOU, SMARTPHONE?

Auf meinem Handy geht garnix, außer Whatsapp. Nur da schreibt mir ja eh kein Schwein. Ich hadere mit meinem Schicksal, das mich offensichtlich auf die Probe stellen will. Meine Langeweile schlägt schon bald um in blanken Hass. Dass diese Dödel von Vodafone es in 4 Wochen nicht geschissen kriegen, einen Techniker herzuschicken …
Also das ist doch wirklich ein Skandal, eine absolute Unverschämtheit! Meine Möglichkeiten in dieser prekären Situation sind beschränkt. Obwohl ich bereits die letzten 3 Wochen erfolglos versucht habe, mich mit diversen Passwortkombinationen in das WLAN meiner mir noch unbekannten Nachbarn einzuhacken, lade ich die verfügbaren WLAN-Verbindungen. Doch was ist das??? Eine vielversprechende dreibalkige Internetverbindung mit dem Namen „Gasthaus am Horner Kreisel“ versüßt mir diesen grauen Morgen. Könnte diese traurige Zeit des begrenzten Datenvolumens etwa endlich ein absehbares Ende finden?

Der Plan steht: Frühstücken, anziehen und dann ab zu dieser mysteriösen Gaststätte! Eine kleine Coke, ein unauffälliges Käffchen und dann ganz nebenbei nach dem WLAN-Passwort fragen. Ab nach Hause, Jogger an, rein ins Bett und den Tag im Sonntagsstyle genießen, wenn mir die bunte Welt des World Wide Web endlich wieder zur Verfügung steht. Eine wahrlich paradiesische Vorstellung!
Der Gedanke an die Ausführung meines genialen Plans lässt mich innerlich die Hände zusammenreiben, wie es gewiefte Bösewichte in Filmen tun, wenn sie eine teuflische Idee haben. Der erste Schritt führt mich raus an die kalte Luft – aber ich ärgere mich nicht wie sonst darüber, dass ich das Haus am heiligen Ruhetag überhaupt verlassen muss. Ich bin gelassen und glücklich, schließlich weiß ich ja, wofür ich diesen kurzen Fußweg auf mich nehme.
An besagtem Gasthaus angelangt, kommen mir erste Zweifel …
Könnte die Internetverbindung wirklich so weit gereicht haben? Aber wer würde denn bitte sein WLAN als Joke „Gasthaus am Horner Kreisel“ nennen?“. True, also los. An der Eingangstür hängt ein großes gelbes Schild mit der Aufschrift: Bitte klingeln. Wie sich das für eine gut erzogene Mitteleuropäerin gehört, folge ich den schriftlichen Anweisungen und drücke den Klingelknopf. Eine blondierte Frau öffnet schwankend die Tür und pflaumt mich mit schriller Stimme erst mal ordentlich an: „Du musst nicht klingeln, die Tür ist offen?!?!“

Es ist vierzehn Uhr. Fünf besoffene Gestalten hängen an der Bar und genehmigen sich ein Schlückchen. Die Gruppe besteht aus 3 Männern und 2 Frauen, eine davon ist die Bedienung, die mit ihren Stammgästen plaudert. Alle 5 scheinen sichtlich irritiert über meinen Besuch zu sein, hier verirrt sich sonst anscheinend niemand einfach so hin. Die Decke ist mit Flaggen übersät, an den Wänden hängen verschiedene ulkige Gegenstände. Ein Paar Socken, Weihnachtsdekoration, ein Malset. Alles noch eingepackt, die Verpackungen sind vergilbt und mit einer Nummer versehen – Überreste vom letzten Bingoabend?
Ich setze mich an einen Tisch in der Ecke, bestelle wie geplant eine Cola.
Voller Hoffnung gehe ich in die Einstellungen meines Smartphones und suche nach den WLAN-Verbindungen.  Doch egal wie weit ich runterscrolle, die daheim noch angezeigte Verbindung ist weg. In dieser Spelunke gibt es NATÜRLICH kein Internet. Es ist ein Trauerspiel.
Hier sitz ich nun, an dem allerletzten Ort, an dem ich in diesem Moment sein will. Und dann passiert auch noch das Einzige, was die Situation jetzt noch schlimmer machen könnte, als sie sowieso schon ist: Die Besoffenen an der Theke fangen an zu reden.

Die Frau erzählt, wie sie letztens abends nach einem „harten Tag“ zuhause war und („ihr kennt das ja…“) richtig Bock auf eine Flasche Wein hatte. Und wie das der Zufall so will, hatte sie in dem Moment auch eine da.
„Und zwar eine richtig gute!“
Nun folgt das Problem: Sie hatte einfach keinen Korkenzieher (Meine Vermutung an dieser Stelle: Normalerweise kauft sie nur Wein mit Schaubverschluss, diesen hatte sie offensichtlich geschenkt bekommen, weil sie immer wieder betonte, was für ein edler Tropfen das doch war), und nun stand sie da und kriegte diesen Wein nicht auf. Aber wie oben schon erwähnt, wollte sie das an diesem Abend unbedingt. Ihre Verzweiflung wurde immer größer und so sah die Dame nur noch einen Ausweg.
Sie holte einen Hammer und zerdepperte den Flaschenhals.
„Das kannste doch nicht machen“, wirft einer der Herren an dieser Stelle ein.
„WAS SOLLTE ICH DENN SONST MACHEN?“, antwortet die Frau. Am Ende hatte sie also Wein aber auch die Hälfte vom Wein nicht mehr, weil das alles aufn Boden gelaufen ist und dann überall Scherben waren. Das war bestimmt noch ein schöner Abend.
Ein anderer Schwank aus dem Leben der Frau: Morgens, halb 10 in Deutschland. Ihr Sohn „Justin“ (englische Aussprache) fragt: „Mama, haben wir Pommes? Ich will Pommes essen“.
Da war sie natürlich außer sich! Und dann kommt der Oberknaller. Völlig ohne Zusammenhang setzt die Frau wieder an: „Die Negerkinder schreien immer so viel, weil die Eltern denen einfach keine Schnuller geben. Die erziehen ihre Kinder ja auch ganz anders … Also wenn ich Justin keinen Schnuller gegeben hätte, dann wäre aber was los gewesen, aber die interessiert das auch gar nicht, wenn die eigenen Kinder schreien“.

Oooookayyyy, mein Stichwort!
Ich bezahle und hau ganz schnell ab. Das war die dümmste Idee ever.
Auf dem Weg nach Hause frage ich mich, wie abgrundtief böse der Nachbar von mir sein muss, der sein WLAN so nennt. Ich stecke den Schlüssel in die Tür und sehe mich um –, steht da grad jemand am Fenster und lacht sich einen á la „da sind se wieder, die dummen neuen Nachbarn, die auf der Suche nach Internet in die Pinte am Kreisel rennen – muhahahah“ ablacht?
Ich entdecke niemanden. Schnell verkrieche ich mich im Bett und mache es mir mit einem Buch gemütlich. Sonntags das Haus verlassen ist halt noch nie eine gute Idee gewesen …
Da trifft man nachher auch noch auf Menschen.

One thought on “A place not to be

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert