Taubenschiss vom Elfenbeinturm …

… polemisiert von Volker Camehn

Prost & Prosa in Zeiten der Pandemie: Vollbremsung als Chance und warum Erfolglosigkeit sich plötzlich als Glücksfall erweist. Eine Polemik.

Ob ihr es wissen wollt oder nicht: Danke, es geht mir gut. Trotz Stillstand. Oder gerade deswegen.
Ist ja alles im Umbruch; oder besser gesagt: Abbruch? Gewiss- wie Sicherheiten gehen gerade den Bach runter oder sonstwo hin, die Umwelt atmet auf und mit ihr nicht nur die Chinesen. Dass da ein Anhänger der ambitionierten Alliteration (so wie ich) Prost und Prosa und Pandemie jetzt lustvoll, weil naheliegend zusammenpanscht – geschenkt!

Volker Camehn liest (c) beim Autor
Volker Camehn liest (c) beim Autor

Wenn eine Gesellschaft, ja, ein ganzer Planet plötzlich eine Vollbremsung hinlegt (Entschleunigung erst per Sekret, dann per Dekret), ist auch und gerade jetzt die Kunst strapaziert und gefordert. Dieses Virus stellt lieb- bzw. hassgewordene Befindlichkeiten holterdiepolter, mir nichts und dir auch nichts, auf den Kreativ-Kopf. Umdenken statt „andenken“ (ein dummes Unwort, aus der Hipster-Rhetorik des landläufigen Lallens; aber das nur nebenbei): Wer gestern noch maulte, nicht von seiner Kunst leben zu können und eben diese durch triste wie Sicherheitsdenken-fixierte Angestelltenknechtschaft quersubventionierte (Sachzwang!), ist heute ganz froh, nicht von seinen Büchern, Gemälden oder Musikdarbietungen Miete und Unterhalt zahlen zu müssen. Kleinlaut sein und Leisetreten ist eh schon immer eine super Kombi gewesen. Stillstand also.
Wie weggeblasen ist denn auch dieses verschnupfte Gefühl, wenn der eigene Kreativ-Auswurf im sozialen Umfeld stets frivolwollend als „nettes Hobby“ nur leicht unter Bedeutungslosigkeit einsortiert wurde. Ein Hobby zum Beruf machen, ist ja eh etwas, was man sich dreimal überlegen sollte, bevor man mit wehenden Fahnen einen geräumigen Elfenbeinturm bezieht. Wie sagt ein ukrainisches Sprichwort: „Wo die Fahnen wehen, ist der Verstand in der Trompete.“ Na, also! Alles Taubenschiss.
(An dieser Stelle, ganz ohne Ironie: Grüße an alle professionellen Künstler! Haltet durch! Wir brauchen euch!)
Ein Lob also der Trägheit – Glück haben, ist halt auch immer eine Sache der Perspektive und des falschen Zeitpunkts im richtigen Kontext. Gerne auch mal andersrum.

Apropos Kontext: Unsere Sprache wird wieder grundsätzlicher inkl. Bildungsoffensive. Entgeisterung beim Zeitgeist: Wer heute „Virus“ sagt, denkt nicht mehr sofort an eine Bedrohung aus dem weltweiten Netz, und „Corona-Partys“ wären vor wenigen Wochen noch als albernes, gleichwohl werbewirksames Saufgelage bei unserem Lieblingsmexikaner durchgegangen. Immerhin: „Viral“ gehen ja gerade lustige Krisen-Videos auf YouTube, weil Lachen gesund sein soll. Inwiefern diese auf eine geheime Initiative vom Gesundheitsminister und Chef-Virologen Jens Spahn zurückgehen, weiß ich nicht. Zuzutrauen wäre es ihm. Aber ich will jetzt nicht noch eine Verschwörungstheorie in unsere ruhige Welt setzen. Deutschland kichert, wenn auch verunsichert. Machen wir das Beste draus und abends Pasta.

Wir lernen gerade viel über Statistik, Medizin und Mathematik („exponentielles Wachstum“) und dass menschliche Nähe kein Wert an sich ist („social distancing“). Das haben wir zwar schon immer geahnt (etwa an Weihnachten), aber jetzt ist Abstand geradezu geboten, und wir haben gute Argumente, die lästigen Besuche in Alten- und Pflegeheimen endlich einzustellen.
Und auch das lernt man derzeit: Solidarität endet spätestens am Supermarktregal („Hamsterkäufe“); vorher lag die Grenze noch irgendwo im/am Mittelmeer. Das nennt man wohl Rückzugsgefecht des eigenen Horizonts, aber: Wir sind doch nicht der Klopapierlieferant für die ganze Welt!
Schöne neue Arbeitswelt: Homeoffice, ein Begriff, dem sonst der Mief von Schlendrian und böswilligem Kontrollentzug anhaftete, ist jetzt Ausdruck von Flexibilität und Verantwortungsbewusstsein gegenüber Firma, Familie und Vaterland.
Also, liebe Kreativ-Kolleginnen und -Kollegen: Wenn das kein Quell der Inspiration ist, was denn dann?

Aber erstmal durchschnaufen! Ich für meinen Teil nehme gerne auch noch im nächsten Jahr alle wichtigen Literaturauszeichnungen für meine Prosa entgegen, die mir heuer womöglich verweigert worden wären. Ab und zu veranstalte ich jetzt Online-Lesungen/Konzerte via Instagram und Facebook. Motto: Sende in der Not, dann hast du, wenn es dir gutgeht. Und ja doch, ich würde gerne von meiner Kunst leben. Habe aber aktuell das Glück, bislang an meinem Anspruch gescheitert zu sein.
Ansonsten geht es mir gut. Danke der Nachfrage!

Volker Camehn, 55, ist Teilzeit-Redakteur, Lyriker und Musiker. Im Rahmen seines Projekts „Prost & Prosa“ hat der Wahl-Otterfinger bisher vier Gedichtbände im Eigenverlag veröffentlicht.

Die Redaktion fand diese Polemik bemerkenswert und hat sie unter der Rubrik “Fremde Federn” veröffentlicht. Volker Camehn ist Autor des Projektes zugetextet.com. Wir danken für die Zusendung des Texts.

 

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