Ausschreibung “Abschied”: Vom Jungen mit den wunderschönen blauen Augen
Vom Jungen mit den wunderschönen blauen Augen
Es tat weh.
Ihn bloß anzusehen, tat ihr so furchtbar weh.
Niemals hätte sie gedacht, dass es möglich war, so viele Gefühle auf einmal zu empfinden, nur wenn man einen Menschen einfach ansah.
In ihrem Kopf und in ihrem Herzen führten gegensätzliche Emotionen einen erbitterten Kampf, während sie aus ihrer anfänglichen Starre im Türrahmen erwachte, den Bick senkte und zu dem nächstgelegenen Stuhl schlich, darauf bedacht, ja nicht aufzusehen, aus Angst seinem Blick begegnen zu können. Die anfängliche Welle von Glück, die sie eigentlich immer überkam, sobald sie ihn zufällig sah oder an ihn dachte, wurde schnell von dem stechenden Schmerz in ihrem ganzen Wesen vertrieben; er nahm ihr alles: das Glück, die Angst, die Luft zum Atmen …
Andere Gefühle wirkten wie gedämpft dagegen. Angst, Wut, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und trotz allem: Liebe. Noch immer ungebändigte, hemmungs- und bedingungslose Liebe zu dem hochgewachsenen Jungen mit den blonden, zerzausten Haaren und den großen, wunderschönen blauen Augen, mit diesem teils interessierten, teils gelangweilten Blick, den nur er so perfekt hinbekam.
Sie war glücklich, ihn kennengelernt zu haben, und gleichzeitig schmerzte es sie mehr als alles andere auf der Welt und trieb sie fast in den Wahnsinn. Doch das war jetzt unwichtig. Man konnte es nicht mehr ändern.
Langsam stand sie auf und ging an den anderen Personen im Raum vorbei zum Tisch hinüber. Sie drehte den Rahmen um, so dass sie das Foto nicht mehr sehen musste.
Das Foto von dem gerade erst verstorbenen Jungen mit den blonden, zerzausten Haaren und den großen, wunderschönen blauen Augen.
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