Meine Entscheidung
von Nadine Baumann
Es ist kompliziert. Und damit meine ich nicht nur meinen Beziehungsstatus.
Ich soll mich entscheiden, heißt es immer wieder. Als ob das so einfach wäre. Manchmal weiß ich doch noch nicht einmal, ob ich lieber Vanilleeis oder Schokolade haben möchte – oder doch Stracciatella. Und dann soll ich endgültig, für immer und alle Zeiten, wissen, was ich sein möchte?
Seit meiner frühesten Kindheit arbeiten meine Eltern auf diese Frage hin. »Was möchtest du sein, wenn du mal groß bist?« Ich kann nicht mehr zählen, wie oft meine Mutter mich das gefragt hat. Manchmal hat sie mir T-Shirts in unterschiedlichen Farben gekauft und mich wählen lassen. Als ob es irgendetwas bedeutet hätte, wenn ich an einem Tag das blaue genommen habe und am nächsten Tag doch lieber wieder das rosafarbene anziehen wollte. Als ob es irgendeinen Unterschied gemacht hätte, ob ich lieber mit Puppen oder mit Feuerwehrautos spielen wollte.
Die Ärzte wollten meine Eltern immer drängen. »Am besten ist es, diese Entscheidung wird noch vor der Pubertät gefällt. Dann können wir hormonell gegensteuern und es passend einrichten.«
Es. Das war dann wohl ich.
Es muss eine harte Zeit für meine Eltern gewesen sein, diese Ungewissheit. Nicht, dass sie es für mich nicht war. Allein die Frage, welche Toilette ich in der Schule benutze, konnte an manchen Tagen dazu führen, dass die Pause vorbei war, bevor ich zum Pinkeln kam. Im Sportunterricht war auch nur solange alles gut, bis wir in Mädchen und Jungs aufgeteilt wurden. In Mädchen, Jungs und mich. Die Lehrer hatten keinen blassen Schimmer, wie sie damit umgehen sollten. »Wir stecken Han zu den Mädchen, die sind netter zu ihr«, sagte die Sportlehrerin. »Nein, Han sollte besser bei den Jungs mitmachen, für die Mädchen ist er zu gut.«, meinte mein Klassenlehrer.
Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn ich damals Hanna oder Hanno gewesen wäre. So hatten es sich meine Eltern vorgestellt, darum hatten sie mir diesen Namen gegeben. Damit man ihn später unkompliziert verlängern könnte. Als Kosenamen nannte Mama mich manchmal Hanni. Sie dachte dabei an die Zwillinge Hanni und Nanni, für Papa war ich eher Hape Kerkelings Hannilein.
Aber ich konnte es beiden nicht recht machen, ich konnte mich einfach nicht entscheiden.
Mit Mädchen kam ich zuerst nicht so gut zurecht, was meinen Vater bestärkte. »Han wird ein Junge, ihr werdet schon sehen.« Aber mit dem Wechsel aufs Gymnasium wurde es schwieriger, die Sitten rauer und die Mädchen die besseren Freunde. Nicht, dass sie mich als eine von ihnen akzeptiert hätten. Aber sie akzeptierten mich darin, kein echter Junge zu sein.
Später wurde es noch komplizierter. Das Nachtleben, Ausgehen, Parties, das alles machte mich völlig fertig. Mit wem sollte ich flirten, wie jemanden wirklich kennenlernen in meiner Situation? Mal schwärmte ich für eine androgyne Frau, mal stand ich auf einen transsexuellen Mann, aber keiner von ihnen verstand mich. Wirklich angenommen gefühlt habe ich mich erst, als ich zum ersten Mal einen Menschen getroffen habe, der war wie ich. Der sich ebenfalls nicht zwischen dem Dasein als Mann oder als Frau entscheiden wollte.
Auch ich will das nicht, immer noch nicht, auch nach so vielen Jahren. Seitdem ich diese Entscheidung getroffen habe, geht es mir deutlich besser. Ich bin nicht Hanna. Ich bin nicht Hanno. Ich bin Han.
Liebe Nadine,
ein mutiges Thema kompakt in eine Kurzgeschichte gepackt ! Sehr gut ! Ein guter Freund hat mir mal gesagt : keine Entscheidung zu treffen ist auch eine Endscheidung ! Und ich finde, er hat recht !
Recht liebe Grüsse
Liebe Bettina Stadelhofen,
er hat nicht nur recht, er kennt die Spieltheorie. In dieser ist die Nullalternative eine solche.
Wir fanden auch, daß der Text gut ist. Und finden es noch.
Herzl. Gruß Die Redaktion