Berichte von der Insel – 11. Mitbringselbeschaffung
Eine Prosaminiatur von Walther
Die Frage nach den Mitbringseln hängt, wenn man allein länger nicht zuhause, also geschäftlich oder sonstwie unterwegs ist, wie ein Damoklesschwert über dem Reisenden. Ihr könnte man nur entkommen, wenn man den Kopf unter dem Arm trüge, am besten die ganze Dauer der Abwesenheit lang. Das gilt selbst, wenn einem ausdrücklich mitgeteilt wird, man solle nichts mitbringen und wenn, dann allenfalls dem Kleinen.
Gemeint ist damit der Enkel.
Eine probate Strategie, diese Aufgabe anzugehen, ist das sog. „Zufallsverfahren“. Man könnte es auch „stochastisch“ oder „erratisch“ nennen, das hörte sich besser an. Aber es ziemt sich, wenigstens meistens bei der Wahrheit zu bleiben.
Als ich mal wieder ausgerückt war, um meinen Aerosolhunger zu stillen – ich war hinaus zum Strand gegangen, um mich von Buhne zu Buhne links den Strand hinunter vorzuarbeiten, was ich tatsächlich auch in die Tat umsetze –, fiel mir beim Rückweg auf, dass die Läden unter der Standpromenade offen hatten. Gelegenheiten soll man beim Schopf packen, hatte ich irgendwo gelesen und anschließend öfter ausprobiert, um mich zu vergewissern, dass an dieser Volksweisheit – als das stellte sich diese Bemerkung nämlich heraus – etwas Sinnfälliges ist.
Ich betrat erst den rechten Verkaufsraum und anschließend den linken. Beide waren in den Gewölben unter der Promenade untergebracht und gerammelt voll mit Bekleidung und Kinderspielzeug, die jahreszeitengerecht ein gutes Stranderlebnis erlaubten: Schippen aller Art, Formen, entsprechende Handschuhe, Kappen, Schals, Anoraks, Boots. Wer also nicht die richtige Ausstattung dabeihatte, hier konnte er oder sie sie beschaffen. Nicht nur für die Kleinen, auch für die Eltern und noch Älteren war eine große Auswahl vorhanden.
Als ich im linken Gewölbe ebenfalls die Kurve kratzen und mich auf den Weg die Treppen hinaus in Richtung Fachklinik machen wollte, weil ich eine gewisse Leere an einem bestimmten Ort fühlte, fiel mein kurzsichtiges und leicht durch Bodennebel eingeschränkt sehfähiges Holzauge auf rostbraune T-Shirts mit weißer Beschriftung , die sich als beflockte Borkumshirts entpuppten. Eine kurze Kommunikation mit der Liebsten per WhatsApp versorgte mich mit einer Idee der Größe unseres gemeinsamen Enkels. Und in der Tat war noch exakt ein Shirt in dieser Größe verfügbar, das ich mir zurücklegen ließ, da ich umständehalber geldbeutelfrei unterwegs gewesen war. Die Verkäuferin war so lieb, sich darauf einzulassen.
Für den Rundgang vor dem Abendessen bewaffnete ich mich schließlich mit dem nötigen Kleingeld und erwarb das Shirt in der Kindergröße. Ich nahm den Kauf zum Anlass, auch Shirts in der Größe meiner Dame des Herzens und von mir rauszusuchen. Diese habe ich später ebenfalls gekauft und aus der ganzen Aktion eine lustige kleine WhatsApp-Story gebastelt, die mit einem Foto samt Unterschrift „§ – 30 – 60“ versehen war. Dabei hatte ich die Shirts auf meinem aufgeklappten Bett der Größe nach aufeinandergelegt und mit dem Smartphone abgelichtet.
Prompt kam die Rückfrage, wer mit „30“ gemeint sei. Ich habe sie daran erinnert, dass Damen das dreißigste Lebensjahr nicht überschreiten und dafür gleich eine Verwarnung kassiert. Aber der Dialog und der Spaß bei der Vorbereitung war es mir wert. Mehr zu diesem Geschichtchen erzählt der Text Fuzzi Logik.
Eigentlich wäre damit die selbst gestellte Aufgabe erledigt gewesen. Aber wie es der Zufall wollte, bin ich beim Einkaufen an einem Teeladen vorbeispaziert, in dessen zweitem Schaufenster auch Stoff- und Plüscheehunde ausgestellt waren. Das wollte ich mir näher anschauen und war hineingegangen. Im Nebenraum stand und hing allerlei meist ziemlich sinnfreier Tourikram Kram herum. Die niedlichen weißen Seehunde zogen jedoch mich magisch an. Es gab welche ohne und welche mit Kapitänsmütze.
Die mit der Kapitänsmütze hatten eindeutig die schönere Form und die netteren Gesichtchen, und die etwas schrägsitzenden Mützen gaben dem Plüschtier den letzten Schliff. Es waren nur noch vier übrig. Andere vor mir hatten wohl ähnliche Gedanken gehabt. Mein Entschluss war schnell gefällt. Ich habe zwei mitgenommen, einen für den Enkel und einen für uns zuhause. Als ich den Ladenbesitzer befragte, wie gut die Seehunde gingen, erzählte er, dass er sie von einem Importeur aus dem Badischen habe und sie im Moment leider nicht mehr lieferbar seien.
Zur Übergabe gibt es auch noch ein kleines Geschichtchen. Als meine Liebste ihrem Enkel den Seehund mitbrachte, wollte er ihn erst nicht haben. Er war gerade mitten in der sog. „Nein!“-Phase und sehr müde. Als er einen Monat später bei uns vorbeikam, entdeckte er die zwei Plüschtiere auf dem Sofa, auf dem er am liebsten schläft, wenn er bei uns Großeltern zum Sitten ist. Als er rechtschaffen müde war, musste mit ihm Käpten Jack in seinem Arm schlafen. Und als die Eltern ihn mitten in der Nacht abholten, durfte der eine der beiden Käpten Jack Plüschseehunde mitkommen.
Das Tolle ist, dass das Plüschtier nun immer greifbar ist – bei Oma und zuhause. Meine Herzensdame war jetzt endgültig damit einverstanden, dass ich zwei gekauft hatte. Erst hatte sie die Stirn gerunzelt, bis sie die beiden Plüschtiere in Händen gehalten und näher betrachtet hatte.
Und natürlich ist da noch ein weiteres kleines Aperçu: Der Ladeneigentümer kommt aus Oberbayern und hat immer noch diesen herrlichen Einschlag, auch nach fast fünfunddreißig Jahren. Als ich fragte, wie er denn auf die Insel gekommen wäre. Er meinte ganz trocken, der Liebe wegen, doch diese sei ihm inzwischen abhandengekommen und nicht mehr auf der Insel, er hingegen sei hängen geblieben und bereue das auch nicht.
Ich hatte die Hoffnung, noch ein anderes Mitbringsel mitnehmen zu können. Ob sich diese Hoffnung erfüllen würde, das wird die Zukunft, die Zeit nach der Reha-Maßnahme, zeigen: Gelingt es mir, mich mit der chronischen Erkrankung abzufinden und sie zu managen. Und schaffe ich es, eine weitere Verschlechterung zu verhindern – oder wenigstens noch einige Zeit aufzuhalten.