zeitkapsel
Gedicht von Tom Niklas Pohlmann
in einer pirouette
schleicht sie sich an den tatort heran
das absperrband flattert noch durch die lüfte
als ob es nie eine grenze gegeben hätte
grauer staub unter ihren fingernägeln
buddelt sich durch schicht um schicht
angezecht von erinnerung und sporn
tagebaut sie ihr vermächtnis
ist dafür sogar in die weite stadt getrampt
war altenpflegerin von beruf
und hatte als sie die freudige nachricht über das radio rauschen hörte
sofort … unverzüglich blanke schnipsel verteilt
nicht, um eine girlande zu formen
sondern feder und tinte
zum hammer und meißel werden zu lassen
sozusagen ein eigenes stück mauer für die ewigkeit festzuhalten
so füllten sich die verse
über unrecht und trauma, spitzel und flüsterwitze
noch drei zeitungsartikel, ein paar hallorenkugeln
und sie war sich sicher
dass künftige generationen hoffentlich erst gar nicht
in die versuchung kommen müssten
ihre flaschenpost zu öffnen
um zu verstehen, dass mauern freiheit rauben.
Doch hockt sie heute wieder auf jenem kopfsteinpflaster
und hört wie wirre köpfe grenzsteine pflastern
um erneut völker auseinander zu reißen, zu brechen.
sie sieht die zeitkapsel in ihren faltigen händen
wie eine staubige aspirin
die diesen kopfschmerz lindern soll
denn was wir brauchen, sind denkmuster
ohne (todes)streifen, ohne (brenn)punkte,
um aus ruinen aufzuerstehen.
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