Des Worts Be.Deutung – Frohkost vs. Mausklickendes Saekulum

Nun ist Dichtung immer auch das Werk von Wortakrobaten: Diese Erkenntnis ist durchaus nicht neu. Denn um Worte dicht zu packen, ist der souveräne Umgang mit ihnen bedingende Voraussetzung.

Im Zeitalter der Beliebigkeit kann hingegen jedefrau und jedermann sich zum Künstler ausrufen. Da die Lyrik eine Unterform der Sprachkunst ist, findet man allenthalben die selbsternannten Dichter in gehäufter Form. Wer den Versuch macht, sich im Internet einen Überblick über das zu verschaffen, was sich als Dichtung geriert, wird ebenso hoffnungslos wie grandios scheitern.

Zugleich ist die Dichtung der Moderne fast gänzlich aus den Buchhandlungen verschwunden. Allerdings hat in der Ära des BoD (Book On Demand) der Selbstverlag dessen, was sein Autor als mitteilungsnotwendig erkennt, ebenso den Zustand der völligen Unübersichtlichkeit erreicht. Zum Glück erreicht das Meiste dieser Druckerzeugnisse nie die Auslage einer Buchhandlung sondern gilbt beim Autor und dessen Verwandtschafts- und Freundeskreise in der Regel ungelesen dem Vergessen entgegen.

Da mutet es verwegen an, gleich auch noch einen eigenen Verlag zu gründen, um den im Weltweitweb vor sich Dämmernden Wortathleten eine Plattform zu geben. Schließlich lässt sich beim besten Willen mit aktueller Lyrik kein Geld verdienen. Zugetextet.com ist beredter Zeuge dieser niederschmetterenden Diagnose und hat schon immer eine Schwäche für derart Verrücktes und mutig Schräges gehabt. Daher besprechen wir im Folgenden auch ein Werk eines dieser sog. Internetdichter aus einem frisch entstandenen Verlag.

Daneben haben wir uns wieder einen arrivierten Lyriker vorgenommen, den der Rezensent selbstredend wieder seiner viel genannten und ominös-notorischen Bad Tölzer Spezialbuchhandlung aufgetrieben hat. Beide besprochenen Autoren haben als gemeinsames Charakteristikum, nicht mehr zu den Jüngsten unter der Sonne zu zählen. Beide sind dem breiten Publikum nicht besonders bekannt, wobei der zweite eher eine größere Leserschaft haben dürfte als der erstere, obwohl bisher außer im Internet und Anthologien nichts Nennenswertes zwischen Buchdeckeln von ihm erschienen ist. Daran mag man ermessen, dass heutzutage Auflage nicht alles ist.

Zu dicht

Robert Schindel, Mein mausklickendes Saeculum, Gedichte, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2008, 107 S., ISBN 978-3-518-42024-9

Netfinder: www.suhrkamp.de.

Man kann zu viel wollen und dadurch zu wenig erreichen. Der hier vorliegende Band ist ein Lehrbeispiel für selbige Überanstrengung.

Hier handelt es sich um einen Versuch eines wahren Wortakrobaten, dem Wort im Schweiße des Gedankens Bedeutung abzugewinnen. Dies kann zu Einen die Bedeutung des Worts selbst sein, in den Schichten seiner Bedeutungsebenen und Bezugsystemen. Dies kann, weiterhin, die Bedeutung einer absichtsvoll strukturierten Ansammlung derselben sein, nennen wir es hier einfach einmal: Gedicht. Dies, nicht zuletzt, die Bedeutung des Autors selbst sein.

Nun kann man, bedeutungsschwanger, die Sache auf die Spitze treiben – und über diese hinaus. So weit kann dabei gegangen werden, dass es notwendig erscheint, dem Ganzen ein Glossar beizugeben, damit man als Leser auch verstehe, was zu sagen gewesen war und zwischen die hier glossierten Buchdeckel eines renommierten Großverlages geriet.

Druckpressen sind ziemlich humor- und ironiefrei, wenn sie sich zur gezielten Schwärzung weißer Papierbögen aufmachen. Sie bringen im Tief-, Hoch- oder Laserverfahren aneinandergereihte Buchstabensequenzen auf gebleichte Zellulose, wobei es ist ihnen herzlich egal ist, welchen Sinn diese Letternreihen ergeben.

„In der späten Frühe also doch / zeugt der leere Stuhl nicht / vom abwesenden Hintern / Er ist für sich und gefangen / in der Sesselsprache / die er versitzt“ (zitiert aus „Späte Frühe“, S. 33) – und nun? Was bitte wollen wir dem erstaunten Leser ob dieser wichtigen Weisheiten sagen? Der Rest dieses Werks ist übrigens ähnlich sinnentleert und zeugt von wenigstens einem: Hier hat einer versucht, mächtig lustig zu sein.

Nun haben wir solche wichtigen Beiträge zur Gegenwartserläuterung noch weitere: „Leichtgewichtig einfallslos unter der Nebelkappe / flattert Gedöns und dehnt die Zeit / des abgekämpften Jahres Nullsieben // … //Hasslader ziehen / herauf adjustieren / das Jahr Nullacht“ (zit, nach“Meldungen“, S. 43. Der Rest ist ausgelassen, weil er ähnlich bedeutende Erkenntnis verschafft.

Und dann sind eben auch grandiose Dichtwerke wie die „Kleine Katzensuite“ (S. 56f). Sie lassen erkennen, dass Robert Schindler dichten könnte, wenn er sich einmal nicht so entsetzlich wichtig zu nehmen vermochte. Wie oben ausgeführt: Wer sich für bedeutend hält, hat möglicherweise hernach nichts mehr zu bedeuten.

Gekauft habe ich dieses Werk des Titels und des Einbands wegen. Meine Lehre daraus: Auch bei Büchern halten die Verpackungen nicht immer, was sie versprechen. Und ein großer Verlag garantiert noch keine große Literatur.
Nicht ganz dicht

Nobert Böll, (F)ROHKOST – Menü in fünf Gängen, Verlag Die Kunstfechter, Saarbrücken 2010, 114 S., ISBN 978-3-98-13527-0-2

Netfinder: www.verlag-diekunstfechter.de / www.diekunstfechter.de

Norbert Böll, im Internet als Norbert und Viktor bekannt, zählt in den Foren, in den er sich tummelt, sicherlich zu den profilierten, weil schon rein formal und sprachlich sattelsicheren Poeten. Wer mehr von ihm lesen und ihm „folgen“ will, wie man das in der Sprache der sozialen Netzwerke nennt, dem seien die Seiten www.dielyriker.de und www.gedichte-eiland.de empfohlen.

Im ersteren der beiden Foren findet man häufiger einen Eintrag von Hans Beislschmidt, dem Gründer und Eigner des noch jungen Verlags Die Kunstfechter.

Der Band gibt einen guten Überblick über das Schaffen von Norbert Böll, der insbesondere in den sich reimenden Gedichtformen unterwegs. Damit unterscheidet er sich in jeder Hinsicht von Robert Schindler, der eher dem Vers libre verpflichtet ist. Die wenigen Formgedichte im oben besprochenen Band zeugen weniger von Können als von einer eher ignoranten Arroganz ebendieser Formlyrik gegenüber.

Das ist bei Norbert Böll völlig anders. Seine Könnerschaft ist zuallererst auch formaler Natur. Er ist nicht nur ein Wortathlet, sondern ein wahrer Wortakrobat. Seine Beherrschung auch komplexer Reimschemata kann man daran ermessen, dass die Gedichte nie gezwungen klingen. Immer liegt die Sprache locker leicht in der Form. Das ist wahres Sprachhandwerk.

An Wortwitz ist er dem viel bekannteren Robert Schindler sicherlich nicht unterlegen. Das mag daran liegen, dass er nicht in seiner Bedeutendheit schwelgt, sondern einfach darauf losdichtet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Aus seinen Werken kann man seine reiche Lebenserfahrung entnehmen, die besonders seine eher düsteren, zivilisationskritischen politischen Gedichte durchfließt.

Norbert wird nicht nur im Internet besonders für seine ironisch humorigen Gedichte geschätzt. Insbesondere seine Limericks und seine „Dr. Eisenbart“-Gedichte zeigen einen fröhlichen Dichter, der an und mit der Sprache die menschlichen Schwächen herrlich witzig aufbereitet.

„Sinnlos ist jedoch das Schmoren / von Finanzamtsdirektoren: / Diese kann man nicht verdauen, / selbst ein Hund mag sie nicht kauen.“ (letzte Strophe von „Aus Großmutters Kochbüchlein“, S. 37). Nun ist das nicht unbedingt große Lyrik, aber wenigstens unterhaltsam. Norbert Böll kann aber auch anders: „Mag auch die Sonne warm und leuchtend scheinen / und Vogelzwitschern jubelnd tiriliern / Ich spüre nur die Lähmung in den Beinen / und werde gleich erschöpfen und krepiern.“ (2. Strophe aus „Naturphilosophische Betrachtungen einer Maus“, S. 100).

Das Ganze hat er selbst liebevoll illustriert. An einigen Stellen ist es allerdings zu viel des Guten geworden. Besonders die Limericks und Kurzgedichte hätten ausgedünnt gehört, einige der eher pessimistisch angehauchten politischen Gedichte sind nicht so stark, dass sie druckreif gewesen wären. Hier merkt man das Fehlen eines Lektors, der dem Autor sagt, welches Gedicht nun besser nicht ins Buch gehörte.

Insgesamt ist aber ein lesenswerter und unterhaltsamer Band gelungen. Und damit unterscheidet er sich, obwohl vielleicht nicht höchstens literarischen Kriterien genügend, wohltuend vom oben besprochenen Band des so bedeutenden Robert Schindel.

Weltweitweb, im November 2011

Walther

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