Frau Heusler
von Ada Kilfitt
Inmitten von Hochhäusern und vorbei rasenden Autos wuchs der Frühling empor. Ein Band aus Osterglocken, das sich durch die Gräser schlängelte und jedem Vorbeifahrenden ein Lächeln auf die Lippen locken sollte.
Nur ein paar hundert Meter weiter die Straße hinauf saß Frau Heusler am Bett ihrer Freundin und tätschelte ihr den Arm. Die alte Dame schlief, der schwere Kopf auf ein weißes Kissen gebettet, die Brust hob und senkte sich; Frau Heusler fühlte sich hilflos. Das runzlige Gesicht voller Tränen, trank sie ihren Kaffee aus, viel mehr aus Höflichkeit dem Pfleger gegenüber, der auch sogleich kam und die Tasse zum Spülen nahm. Sie strich noch einmal die Decke glatt, um dann mühsam wieder aufzustehen und heimzufahren.
Mit ihrem Stock an der einen und dem Geländer an der anderen Seite, stieg sie die vielen Stufen hinunter bis zur Straße. Es war ein warmer Frühlingstag, wenn sie auch das Gefühl hatte, dass in ihren Knochen noch immer ein wenig Winter hauste.
Ihre Gedanken weilten bei nichts anderem als bei ihrer Freundin, und selbst die Sonne, die frohlockend über ihr Gesicht kitzelte, konnte sie nicht trösten. Als sie den Ampelknopf drückte, fuhr die Straßenbahn heran, die Türen öffneten sich, ein paar Leute stiegen aus und ein, und die Türen schlossen sich wieder. Es wurde grün, und Frau Heusler sah ihr noch nach, wie sie sich zwischen den Autos davon schlängelte und schließlich verschwunden war, als sie das leere Bahnhäuschen erreichte. Sie setzte sich auf einen der Sitze, die wie ein metallenes Netz im Glashäuschen warteten, legte ihre Handtasche neben sich und faltete die Hände. Der erste Junge der kam, immer wieder laut auflachend und mit Headphones in den Ohren, hätte vielleicht die Tränen in ihren Augen bemerkt, hätte er nur einmal den Blick vom Handy gewagt.
Die nächste Bahn kündigte sich schon von weitem an, Frau Heusler hob den Kopf und stand auf, sie war froh, dass es nicht so voll war und sie sich auf einen leeren Doppelplatz setzen konnte. Das vertraute Piepen ertönte, und sie seufzte, während ihr Blick aus dem Fenster wanderte, hinaus zu ihrer Stadt: Häuser, Menschen, Autos; hätte sie zur anderen Seite hinausgeschaut, hätte vielleicht ein Band aus Osterglocken ein kleines Lächeln hervorgelockt, doch sie drehte den Kopf nicht, und da waren sie auch schon vorbeigefahren.
Es war ein Sonntag wie jeder andere, sie fuhr zu ihrer Freundin, hoffte, sie würde sie heute erkennen, und dann weinte sie, weil es nicht so war, und wartete, bis sie einschlief, um dann zu gehen, und, ehe sie sich´s versah, war schon fast wieder Montag.
Bei der nächsten Haltestelle stiegen Kontrolleure ein. Ihr Herz begann unangenehm zu klopfen, und sie begann in ihrer Tasche nach der Fahrkarte zu kramen. Sie wusste, dass keine darin war, denn sie hatte sie verloren, irgendwohin gelegt und nicht wiedergefunden. Schließlich machte der Kontrolleur vor ihr Halt, und sie spürte, wie Verzweiflung leise hinter ihren Augen zu pochen begann, aufgebracht versuchte sie, sie wegzublinzeln.
„Dürfte ich ma Ihr Ticket sehn, bitte?“ fragte der Mann und beugte sich ein wenig zu ihr herunter.
„Ja“, sagte sie und kramte weiter, „ich find es grad nicht, es war hier in der Tasche.“
Ihre Stimme zitterte, doch sie sprach so leise, dass es keiner merkte.
„Na, dann gucken Se ma in Ruhe, und ich komm dann gleich noch ma zu Ihn´.“
Damit ging er in die andere Richtung davon. Sie kramte weiter, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte. Als er wiederkam und sie noch immer nichts vorzeigen konnte, fragte er nach ihren Personalien und ihre Hände strichen, voller Verzweiflung, wie unruhige Kinderfüße, die unaufhörlich herumbaumelten, über ihre Tasche.
„Sie können bei mir mitfahren“, sagte jemand und Frau Heusler drehte sich um, eine junge Frau nickte ihr zu, zog ein Ticket2000 heraus und reichte es dem Beamten. Doch der schüttelte den Kopf.
„Sie könn doch hier nich einfach irgendweche fremden Leute mitnehm.“
„Wieso nicht?“, fragte sie, und der Mann schüttelte wieder den Kopf, brummte etwas und nahm dann das Ticket.
Nachdem er gegangen war, setzte sich das Mädchen wieder zurück auf ihren Platz und hatte ihre Kopfhörer schneller wieder in den Ohren, als Frau Heusler „Danke!“ sagen konnte. In ihrem Inneren flatterte es noch immer, als hätte sie einen lebendigen Vogel gegessen, ihr Blick ruhte unentwegt auf der jungen Frau, während sie verzweifelt nach Worten suchte. Als die Haltestelle angesagt wurde, bei der sie aussteigen musste, rief sie schließlich: „Entschuldigung, darf ich Sie noch einmal stören, bitte?“
Das Mädchen drehte den Kopf und nahm einen Kopfhörer aus dem Ohr. Mit Erleichterung sah Freu Heusler, dass auch sie aussteigen wollte, auf der Straße griff sie nach ihrem Arm und sagte: „Bitte, kennen Sie das neue Café dort drüben? Ich würde Sie so gerne auf ein Eis einladen.“
Als das Mädchen ablehnte, bat und drängte sie, bis sie sich überreden ließ. Noch auf dem Weg zum Café überschüttete Frau Heusler sie mit Dank, und ihr Gesicht strahlte und strahlte und hörte gar nicht mehr auf zu strahlen.
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